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Drüben ist die "Schäl Seid" !?

Der Treidelpfad im Raum Köln-Koblenz und die "Schäl Seid"

Engers und die rechtsrheinischen Orte zwischen Koblenz und Köln liegen, wie der Volksmund sagt, auf der "schäl Seid" . Der Ursprung dieser Bezeichnung hat vermutlich mit den Treidelpferden zu tun:

Die Pferde, die auf dem längst nicht mehr vorhandenen Leinpfad auf der linken Rheinseite die Schiffe stromaufwärts zogen, trugen vor dem linken Auge (also zur Stromseite hin) eine Scheuklappe. Begründet wird dies damit, dass die Pferde nicht durch das sich im Rhein widerspiegelnde Sonnenlicht geblendet werden sollten. Mit dem rechten Auge hatten die Pferde ungehinderte Sicht geradeaus und zur linken Rheinseite, konnten zur rechten Rheinseite - z. B. zum Siebengebirge hin - aber nur schielen. Auf dem linken Auge waren sie also "schäl" (oder "scheel"). Der Volksmund nannte Schielende - mehr oder weniger verächtlich - "Schäl", und mit diesem Spitznamen - als "schäl Sick" - bedachte irgendwann einmal die linksrheinische Bevölkerung scherzhaft die rechte Rheinseite. 

Beim "Treideln" zogen Menschen und Pferde die Schiffe im Strom auf dem eigens hierzu angelegten Leinpfad an bis zu zwei Zoll dicken Hanfseilen stromaufwärts. Getreidelt wurde bis etwa Mitte des 19. Jh., stellenweise auch noch länger. Auf alten Stichen und Gemälden wirken die Treidelpferde und ihre Reiter in idyllischer Umgebung recht romantisch. Tatsächlich waren die Arbeitsbedingungen für Tier und Mensch aber alles andere als beschaulich.

Im Raum Köln-Koblenz verlief der durchgehende, ca. sieben Meter breite Leinpfad oder Treidelpfad auf der linken Rheinseite zwischen Deich und Rheinufer. Er durfte nicht von Fuhrwerken oder zum Viehtreiben benutzt werden. "Um die Pferde zu schonen, die, wie es damals hieß, dauernd 'im Ham' hingen, wurde der Leinpfad nie gepflastert. Von dem zur Befestigung gebrauchten Kies durften die größten Steine nur einen Durchmesser von einem halben Zoll (ein Zoll ist der zehnten Teil eines Fußes, Fuß etwa dreiunddreißig Zentimeter) haben. Als Gehweg war er daher zu jeder Jahreszeit in einem schlechten Zustand. Die überall in der Rheinebene bekannte Bezeichnung 'ne Päädswääch' für eine lange, schlechte Wegstrecke, die kein Ende nehmen wollte, war in ihrem Ursprung von dem Leinpfad, der so lang wie der schiffbare Rhein war, abgeleitet." [Dollhoff S. 83]

Je nach Größe und Gewicht benötigten die Schiffe bis zu zwanzig mittelgroße Treidelpferde, die in einem besonderen Geschirr an der Schiffsleine angespannt waren. Kleinere Schiffe oder Boote wurden von einem Pferd gezogen. Für eine Last von 15 Tonnen wurden ca. sieben Treidelknechte oder ein Pferd benötigt. Vier Pferde konnten einen beladenen "Oberländer" (im 16. Jh. der gängigste Schiffstyp auf dem Mittelrhein) stromaufwärts ziehen. Etwa 20 Pferde treidelten ein mit 50 Tonnen beladenes großes Transportschiff. [Dollhoff S. 82; Heimatbuch Siebengebirge S. 178]

Oft führten die Schiffer auf ihrer Talfahrt [= in Richtung Strommündung] eigene Treidelpferde mit sich, die das Schiff dann auf der gesamten Bergstrecke zogen. Aber in zahlreichen Rheinorten konnten auch Halfen mit ihren Heuerpferden gemietet werden. Diese Treidelstationen oder Pferderelaisstationen, die im 19. Jh. eingerichtet wurden, hatten stets ausgeruhte Pferde bereitzustellen, die gegen die ermüdeten ausgewechselt werden konnten. So war eine deutliche Reduzierung der Fahrtzeit möglich. Diese Treidelstationen, dicht am Rhein gelegene Höfe, waren auch für die Versorgung von Pferden und Halfen auf ihrem mühsamen Weg zuständig. 

Die Arbeit der Treidelpferde und ihrer Leinenreiter war hart und gefährlich. Waren die Wege aufgeweicht oder bei Hochwasser überschwemmt, rutschten die Pferde immer wieder aus und drohten in den Strom gezogen zu werden. Auch konnte das Schiff bei schwierigen Strömungsverhältnissen oder durch Unachtsamkeit des Steuermanns vom Ufer zur Strommitte getrieben werden. Die Pferdekräfte reichten dann nicht immer aus, um das Schiff zurückzuhalten. Die Treidelknechte führten Beile oder Messer mit sich, um im Notfall die Seile zur Rettung ihrer Tiere kappen zu können. Sie saßen einseitig auf den Pferden, um bei Gefahr schnell abspringen zu können. Die Rhinghalfen bedienten jeweils feste Rheinabschnitte. Ein Abschnitt war z. B. Niehl - Rodenkirchen. [Dollhoff S. 82] Sie sollen in jeder Hinsicht recht grob gewesen sein. An anderer Stelle werden sie - etwas freundlicher - als "sehr verwegen" bezeichnet. 

Das Schiff wurde mittels einer langen Treidelleine gezogen. Sie war am Schiffsmast befestigt, berührte so weder das Wasser noch den Uferboden - zumindest sollte es so sein. 

"Die Treidelseile, die sich vor dem Schiff zu einem dicken Seil vereinigten, gingen durch eine Rolle am Bug hinauf zum Mast. Am Masttopp lief es wieder durch eine Rolle und von dort zu einem Klampen oder Poller mitschiffs an Steuerbord. Der Mast war dabei als nachgebende Feder gedacht, wenn das Seil sich spannte oder nachgab. [...] Der Zug des Seiles an Steuerbord unterstützte das Ruder, welches das Schiff entgegengesetzt von den nach dem Land ziehenden Pferden vom Ufer abhielt." [Dollhoff S. 83]

Der Rudermann musste dauernd gegensteuern, damit das Schiff durch den schrägen Zug nicht ans Ufer gezogen wurde. Die Pferde wurden schwer beansprucht; sie mussten meist schief gehen.

Die heutige Lachsgasse in Niehl, die vor dem Eisgang von 1740 bis an den fließenden Rhein (bis zur heutigen Mitte des Strombettes) führte, wurde auch als Päädswääch bezeichnet: Abends, wenn die Schleppkähne vor Anker gingen, wurden die Pferde, die die Kähne den Rhein hinauf gezogen hatten, über diesen Weg nach Niehl in die Stallungen gebracht. Dort lagen auch die Unterkünfte für die Treidelknechte.

"Der Eigentümer des Kahrmannsgutes an der Lachsgasse und Niehler Damm errichtete neben dem Gutshaus neue Ställe für die Pferde, die die Kähne rheinaufwärts zogen, und im Gutshaus Schlafstellen für die Schiffs- und Pferdeknechte. Der Pächter des 'Schmitts Hoff' war für die Instandhaltung des Leinpfades von Merkenich bis zur Niehler Grenze zuständig." [Dollhoff S. 83]

Mit dem Einsetzen der Dampfschiffahrt starben allmählich ganze Gewerbezweige aus. Betroffen waren die Rhinghalfen, die Pferdeknechte und die Gasthöfe, in denen die Pferdeknechte und Pferde ungebracht waren, Pferdehändler und Futterlieferanten 

Stürzelberg am Rhein (Dormagen)

In dem Dorf Stürzelberg (Zons) erinnert ein am 1. Mai 2001 eingeweihtes Treideldenkmal an das alte

Gewerbe. Es steht gegenüber dem Gasthof "Vater Rhein". Seit dem Mittelalter wurden hier - wie Jakob Justenhoven in seiner Broschüre anlässlich der Einweihung des Denkmals schreibt - niederrheinische und holländische Frachtschiffe getreidelt.

"Der Leinpfad führte um 1800 gegenüber Düsseldorf am linken Rheinufer vorbei. Bedingt durch die kleinen Inseln vor Neuss wurde für eine kleine Strecke auf die rechte Rheinseite gewechselt.

Von Grimlinghausen an Stürzelberg vorbei bis zur Piwipp bei Dormagen-Rheinfeld wurden die Schiffe wieder linksrheinisch getreidelt. Dort wichen die Schiffe wegen des seichten Ufers auf die rechte Seite nach Monheim aus. Gegenüber von Hitdorf verlief der Leinpfad dann ungehindert bis Köln auf der linken Rheinseite. [...] Bis zur Verwendung von Dampfmaschinen im Rheinschiffbau ab 1830 war das Segel die einzige mechanische Antriebskraft. [...] Von Amsterdam, dem wichtigsten Handelsplatz der Welt im 17. Jahrhundert, fuhren bis Anfang des 19. Jahrhunderts die breiten Beurtschiffe (Samoreusen) bis Köln. Diese Schiffe wurden von 20 bis 30 Pferden gezogen. Eine solche Fahrt dauert je nach Windstärke zwei bis sechs Wochen.

Für das Treideln wurden vielfach schwere, ausdauernde Kaltblüter der Bauern der Rheindörfer eingesetzt, die hiermit einen guten Nebenverdienst zur Landwirtschaft hatten. So gab es auch in Stürzelberg Pferdebauern, die vom Schiffer als sogenannte Halfen gedungen wurden. Oft führten auch die Knechte der Bauern als 'Pädsdriever' (Pferdetreiber) die Gespanne für einen bestimmten Uferabschnitt. Von dem mit dem Schiffer vereinbarten Lohn mussten sie die Kosten für Essen und Herberge für sich sowie für Hafer und Stallgeld der Pferde bestreiten. [...] 

Im Jahre 1849 [...] kostete ein Treidelpferd für eine Fahrt von Holland nach Neuss 16 Taler Ziehlohn. Lotsen, Leineträger und Buchnachenfahrer bekamen zusammen etwas mehr als 9 Taler. [...] 

Mit dem fortschreitenden Einsatz von Schleppdampfschiffen auf dem Rhein ging die Ära der Treidelschifffahrt in den 1850er Jahren zu Ende."

[Justenhoven] 

Rheinfahrt im Frühjahr 1799

Von einer gefährlichen Begebenheit berichtet Ernst Moritz Arndt (1769-1860): 

"[...] gegen fünf Uhr fanden wir uns eingeschifft. Wir hatten nun wieder ein Pferd vor unsrer kleinen Jacht, aber in der That schien eine kleine Hexerei auf unsrer Fahrt nach Mainz zu haften. Kaum hatte der Kerl am Rande des Stromes fünfzig Schritt mit dem Gaule gemacht, so ward er kollerig, biß sich fest im Zaum, und ging stromein. 

Der Kerl, um nicht zu ersaufen, sprang ab und rettete sich ans Ufer, der Gaul aber, nun aller Bande frei, schwamm mit Schnauben und Ächzen mitten in den Strom hinein. Das ward ein Geschrei der Weiber und der Ängstlichen, das Thier mögte unser Schifflein umreißen, und der Kühnen und Erfahrnen, es mögte ersaufen. Wir steuerten ihm immer wieder rückwärts mit der Jacht nach, und verlängerten das Zugseil, um es durch Widerstand nicht in die Tiefe zu reißen.

Alles ward über diesem Lärm wach, und gab seine Stimme der Angst und des Rathes. Der Lärm höhlte endlich Leute herbei, die mit einem großen Boote zum Gaul ruderten, ihm den Kopf emporhielten, und ihn so ans Land retteten. So verloren wir beinahe eine Stunde in Todesnöthen und Klarmachen, und die Welt war indessen ganz hell geworden."

 

Leipzig 1801, 4 Bde. Zit  bei Lang S. 243 f]

 

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